aussiedler
[ lüstige Geschichten aus dem Leben von Aussiedlern]
 
You know I'm black

Viktor Reimer war neidisch auf Ausländer.

Genau gesagt, auf die Ausländer, die man gleich auf den ersten Blick und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Nichtdeutschen zuordnen kann. Zum Beispiel auf solche, die einen Turban tragen, dunkle Haut besitzen oder sich so laut und emotional in ihrer Muttersprache unterhalten, dass kein Zweifel daran besteht, dass sie nicht hier um die Ecke in Dippoldiswalde geboren wurden.

Der Grund für diesen Neid bestand darin, dass Viktor es hasste, von jedem als Deutscher angenommen zu werden und immer mit dem Schreck auf die Sekunde zu warten, wenn er seinen Mund aufmachen soll und dem Gesprächspartner seine nicht deutsche Herkunft verraten wird. Es war natürlich nicht so, dass Viktor etwa Angst hatte, gleich verprügelt zu werden (man spürte eher Angst auf der anderen Seite, etwas nicht korrektes, geschweige ausländerfeindliches zu sagen) oder dass die anderen gleich seinen Akzent nachmachen versuchten und vor Lachen platzten. Viktor merkte aber jedes mal, dass die ein paar Wörter, die er von sich gab, dazu führten, dass die Emotionsausdrücke, die man vom Gesicht seines Gesprächpartners ablesen konnte, sich immer in der folgenden Reihenfolge wechselten: Überraschung ("wo kommt er denn her?"), leichte Panik ("sind sie freundlich zu Menschen?"), Enttäuschung ("sah aber genau wie wir aus"), Distanz ("wir tun euch nichts, aber ihr sollt uns auch nichts böses tun"). Dagegen fanden es alle einfach entzückend, wenn Viktor's Freund Bomu aus Nigeria jemanden einfach mit einem normalen "Guten Tag" begrüßte.

Viktors Versuche etwas in der Kleidung zu ändern, um damit mehr als Ausländer aufzufallen, brachten wenig. Seine alte Armbanduhr "Wostok", von seinem Vater zum Abschluss der fünften Klasse geschenkt, war weit weniger auffällig, als die großen Wecker von "Seiko" oder die bunten Uhren von "Swatch". In einer richtigen Pelz-"Schapka" herumzulaufen oder sich goldene Vorderzähne machen zu lassen ginge auch schlecht, wegen der milden deutschen Klimaeigenschaften bzw. Notwendigkeit wieder den Mund aufzumachen um seine Ausländerzugehörigkeit zu beweisen.

So ist es dazu gekommen, dass Viktor mit Gedanken spielte, sich operieren zu lassen, um ein Stück schwarzer auszusehen. Abgesehen davon, dass laut Studien viele Frauen auf etwas dunklere Haut stehen sollten, wollte er in der ersten Linie die optische Täuschung, er wäre ein Deutscher, loszuwerden. Das Problem bei der Sache bestand allerdings darin, dass im Kopf von Viktor so eine Operation ziemlich eng mit der Person vom gewissen skandalösen amerikanischen Popstar verbunden war.

Einer Nacht träumte er, dass man ihn als Angeklagten in einer schwarzen Limousine in einen Gerichtssaal brachte. Ihm wurde vorgeworfen, seinen eigenen Kater Kotja zu belästigen und mit Leckereien zu unanständigen Sachen gezwungen zu haben. In Zeugen von der Anklage standen schwarz-graue und immer schwangere Katze von seinem Nachbarn Herrn Rüssler und eine zickige Frau mit der großen Hornbrille aus dem Tierschutzverein Leipzig. Alle Versuche von Viktor seine Unschuld zu beweisen wurden vom Richter einfach ignoriert. Noch dazu saß die Nase von Viktor irgendwie nicht stabil genug und wollte ständig von seinem Gesicht wegrutschen. Als das Opfer selber über den angeblichen Missbrauch erzählte und einer von Geschworenen aufsprang, auf Viktor zeigte und "Hängt den Schurken auf!" schrie, schmetterte Viktor in voller Aufregung seine Nase auf Kotja, der sie schnell mit den Zähnen auffing und gleich danach verschwand. Der Richter fiel in Ohnmacht, als er den Angeklagten anblickte, und alle Anwesenden fingen an wie verrückt zu schreien. Viktor wachte auf.

"Ist was?" - fragte ihn seine Freundin, die neben ihm im Bett lag. Sie las gerade ein Buch und streichelte dabei ihren Kater. "Schlecht geträumt", antwortete Viktor, schaute kurz Kotja in die Augen und schlief gleich wieder ein.




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